Experiment gescheitert – zurück im Netz
Aufgepasst: ich bin jetzt wieder weg aus dem Netz, und jeder, der mich online erwischt bis Ostern bekommt 100 Euro. Mail und DM gelten nicht.
So lautete mein Posting am Sonntag, 24.März auf facebook, ein ähnliches landete bei twitter. Was muss passieren, damit man sich selbst unter Androhung drakonischer Strafen aus dem Netz aussperrt?
Wir werden sehen: eine ganz falsche Vorstellung davon, was das Netz ist.
Zum einen ist da ein Haufen Arbeit, zum anderen Buch2, das sich leider nicht von allein schreibt und leider auch kein bisschen schneller als Buch1. Im Gegenteil, habe ich manchmal den Eindruck. Während man bei Buch1 existenzialistisch verzaubert am Schreibtisch sitzt, und einen der Traum, eines Tages einen Buchvertrag zu haben, beflügelt, treibt einem bei Buch2 derselbe Gedanke Schweißperlen auf die Stirn. Das Manuskript abzuschließen ist aber gleichzeitig viel schwieriger, das kennt jeder, der einmal gutgelaunt das leckerste Menü der Welt gekocht hat und sich leider nicht erklären kann, wie das passiert ist – und schon treibt man sich stunden-, tage- und wochenlang in diesem Internet herum, auf twitter, facebook und G+, in Foren zu Autorenthemen, zu Verlagsthemen und schließlich weiß man alles über südamerikanische Monsterfrettchen.
Aussperrung aus dem Netz bedeutet für den einsamen Schriftsteller aber auch: noch mehr Einsamkeit. Nicht diese umfassende soziale Einsamkeit, nichts narzisstisches oder depressives.
Keine raschen Likes klicken zu können heißt vor allem: nicht kommunizieren können. Während der Arbeit nicht kommunizieren können. Welcher Berufsstand macht das schon, außer Schweigemönche?
Das wurde mir aber erst klar, als ich schon einen Tag draußen war, und die timelines trotzdem mitlas. Wie viel meiner täglichen Kommunikation beruflich ist. Wie wenig es wirklich um Bubble Island geht, bildlich gesprochen. Längst ist mein gesamter Arbeitsprozess so eng mit dem Netz verknüpft, dass ich am zweiten Tag schon wesentlich mehr Mails verschickt habe als am ersten, und zwar an Leute, die ich sonst über die Netzwerke angesprochen hätte. Ich habe mir in nur drei Tagen fast 50 Artikel zu Buchmarktthemen und zu Netzpolitik gebookmarked, nur um sie nach Ostern doch noch posten zu können.
Das Ergebnis meines Miniexperimentes, das hiermit aufgehoben ist, zeigt mir sehr deutlich, wie unverzichtbar das Netz inzwischen geworden ist Und zwar eben nicht für Kochrezepte und Daddelkram, sondern für Kommunikation und Zusammenarbeit.
Im Zuge der aktuellen Netzdebatten wünsche ich mir, dass die Protagonisten trotz ihrer wunderbaren fachlichen Kompetenz, ihrer technischen Beschlagenheit und ihrer politisch ausgefeilten Positionierung vor allem erkennen, dass das Netz in erster Linie für die ganz normalen Nutzer wie mich ein Segen ist.
Während die einen nämlich einfach ihre ohnehin bestehenden Netzwerke im Netz nur noch einmal abbilden, haben wir überhaupt erst durch das Netz die Chance, welche zu bilden.
Während die einen ihre akademischen Diskurse nach Beendigung oder Abbruch des Studiums im Netz einfach weiterführen, haben wir durch das Netz überhaupt erst die Chance, welche zu entwickeln, z.B., indem das Netz uns Zugang zu den Quellen und nicht selten auch zu ihren Verfassern ermöglicht.
Wir, die ganz normalen Nutzer sind es nämlich, die ohne jede Idee, was die twitter API kann, ohne Vorstellung vom LSR oder Urheberrecht nur durch das Internet ZUGANG bekommen zu Kommunikationsströmen, ZUGANG zu politischen Debatten und ZUGANG zu anderen Menschen, denen wir sonst nie begegnet wären.
Die ganz gewöhnlichen Menschen müsen im Fokus unserer netzpolitischen Betrachtungen stehen, und nicht die hyperspezialistischen Technik-, Relevanz- und Metadiskussionen.
Mehr Links:
Netzpolitik war nie ein Three-Letter-Acronym | till we *)
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mit Video, das alle kucken müssen: Netzpolitik schafft es in den Mainstream. Fast.
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