Quersumme 8

Das ist einer meiner Spleens, von allem die Quersumme zu bilden und zu schauen, ob sie auf 8 aufgeht, oder wenigstens auf 4, was ein sehr hingedengelter Kompromiss wäre, aber gelten kann, wenn es zB. darum geht, ob das Eröffnungsdatum für den Buchladen eine gute Wahl gewesen ist oder nicht (war es, trotz der 5 – die jedoch die kleine rote Schwester der blauen 8 ist und deswegen als Stellvertreterin gilt).

2024 hat sehr eindeutig die richtige Quersumme, daher kann ich gar nicht anders, als die guten Dinge aufzuzählen, die es mit sich gebracht hat. Das siebte Jahr Buchladen war darunter, sogar ein achter Mitarbeiter. Unsere Katze wurde acht Jahre alt und die hier anwesende Kinderschar beläuft sich auf stattliche vier und gilt also, auf Menschen wende ich das Prinzip ohnehin nicht gerne an, obwohl ich, wenn ich nervös bin, sehr gerne die um mich herumsitzenden Leute in Achtergruppen aufteile, ohne jedoch zu wissen, was mir das sagen will, denn sie sind ja trotzdem da, ob sich sie nun zähle oder nicht.

Als Kind wurde ich vom Flötenunterricht abgeholt und saß dabei auf einem Mäuerchen in Ochsenhausen, in einer unübersichtlichen Kurve, jeden Freitag in der sicheren Erwartung, dass dieses Mal der K70 meiner Eltern NICHT um die Ecke biegen würde, wenn ich nicht fleißig die vorhergehenden Fahrzeuge abzähle, in – wir ahnen es – Achtergruppen natürlich. Manchmal zählte ich extra nicht, aber unser Auto kam trotzdem, sonst wäre ich ja jetzt nicht hier.

„Du hast was am Helm“ würde der Mann sagen, wenn er das wüsste, er weiß es nicht! – aber er sagt es trotzdem sehr oft zu mir, und fast immer klingt es wie „ich liebe dich“, er ist nämlich der Beste und selbstredend beläuft sich die Quersumme seines Geburtsdatums auf 4, das des Tages auf 8 und meines erfüllt überhaupt keines meiner eigenen Kriterien, so sehr ich es auch versuche, selbst Wurzeln ziehen hilft nicht oder ein mathematischer Trick wie „zu vernachlässigender Rest“. Hatte ich schon erwähnt, dass ich eine sehr eigenwillige Berechnungsweise habe?

2024 ist so schnell verflogen wie keines der Jahre davor, nicht einmal die Coronajahre hatten es so eilig. Ich glaube, wir sind immer noch am Zusammenfegen der daraus resultierenden Befindlichkeiten, während wir mit Realitäten konfrontiert sind, die Herr Buddenbohm nicht ohne Grund trashmäßig gescripted nennt. Ich habe aber schon länger darüber nachgedacht, ob das, was wir als Realität serviert bekommen, nicht von langer Hand vorbereitet ist, denn die einen winken ab und sagen, ach, das haben wir schon 100-mal in der Literatur gelesen, und die anderen sagen, ach wie im Kino, die nächsten wussten all das schon aus Comics, die vorletzten bemühen die Bibel, die Letzten das ewige Werden und Vergehen.

Am meisten beschäftigt hat mich in diesem Jahr eine unauflösbare Frage, wahrscheinlich weil ich 50 geworden bin und langsam erwachsen zu sein glaube, und zwar die Frage danach, wie die Dinge SIND. Sehe ich sie klarer, weil ich jetzt an eine Stelle schaue, die früher nicht relevant war für mich? Waren sie also immer schon und ich habe sie nur nicht gesehen? Sind sie jetzt schlimmer, weil sie mich eher betreffen als damals, als ich jünger war? Oder sind sie wirklich so, wie sie zu sein scheinen? Habe ich mich verändert im Laufe der Zeit? Ist es also mein Blick? Meine Lebenserfahrung? Sind es meine eigenen Filter? Was ist wenn ich die Quelle wechsle, meine Blase, oder meinen Referenzrahmen? SIND sie dann immer noch (zweifelsohne!), aber wie anders ist die Interpretation – und wie bereit bin ich, mit diesen Spannungen umzugehen? Was ich sicher sagen kann: ich bin deutlich müder geworden, eine Information um ihre Quelle zu bereinigen, jedes Mal zurückzuverfolgen, welche Agenda die Quelle haben könnte und was welche Interpretation in welchem Kontext bedeuten könnte und daraus dann noch eine Relevanz abzuleiten. Mich stressen die medialen Metaebenen ungemein, genauso auch die Mikroinformationen wer was wann zu irgendetwas gesagt hat – ich soll beispielsweise eine neue Regierung wählen, dazu wäre mir Wissen über das konkrete Personal recht, das ich bekommen werde und ein Inhalt, für den ich mich entscheiden könnte, aber ob Hugo oder Isolde in einer Talkshow performt haben oder nicht – so what. Ich will eine Wahlentscheidung treffen können, bei der ich vorher weiß, wer welches Ministerium bekommt, denn DAS ist entscheidend für die Identifikation mit der Regierung, das sind ja später die Gesichter, die beispielsweise das Land nach außen vertreten. Das möchte ich vorher wissen um meine Wahlentscheidung fundiert treffen zu können. Ach so, es sind vier Kanzlerkandidaten – irgendwas ist ja immer.

Wie immer um diese Zeit übt die Aussicht auf eine eigene Blockhütte im Wald, jenseits all dieser Fragen und Entscheidungen eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Jedes Jahr um Silvester herum studiere ich Anzeigen und rechne aus, welche alte Burg oder welchen verlassenen Bahnhof ich mir leisten kann, wie weit die nächste Stadt ist und wie schnell ich dorthin verschwinden kann. Wahrscheinlich liegt das am sehr frühen Studium gewisser Romane mit Schauplatz Amerika (oder Balkan), ich war 6 Jahre alt als ich den Schatz im Silbersee ausleihen durfte aus der Schülerbücherei, in die ich damals bestimmt 3x die Woche verbannt wurde wegen ungebührlichen Verhaltens im Klassenzimmer – wie immer substituiere ich dieses Bedürfnis mit minecraft, das beinahe 8 Buchstaben hat, aber nur fast, und der Helm den ich dort trage ist aus Diamant.

Acht Jahre haben der Vater der Kinder und ich keine gemeinsame Adresse mehr, neulich an Weihnachten standen wir in der Küche, er sagte es dufte lecker was ich da koche, ich bedankte mich und er sagte „kochen kannst du ja“ und ich: „Das scheint nicht gereicht zu haben“, und er: was denn reiche, für eine Beziehung, das frage er sich schon – und ja, das überlege ich oft, warum man sich an diesen bindet oder an jene, oder eben nicht – kann man das sehen, wissen – oder berechnen? Abzählen kann man es jedenfalls nicht, Entscheidung geht nicht auf 8 auf, gar nie. Aber Liebe, Liebe ist eine glatte warme rote 5.

Einige Gedanken zu “Quersumme 8

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