Das andere Wort mit V ist es!
Vereinbarkeit – das Wort habe ich eine Weile untersucht und habe mich ihm angenähert über Fragen nach Berufstätigkeit bzw. Erwerbstätigkeit und Familienarbeit. Wie alle.
Dabei wurde mein Verdacht, dass etwas nicht stimmt mit dieser Betrachtungsweise, aber immer stärker.
Allein die Sache mit der Berufstätigkeit: wer von uns arbeitet denn noch oder überhaupt im erlernten Beruf?
Vielleicht diejenigen, die erst mit 30 bis 35 Jahren überhaupt einen haben, die Akademikerinnen und Akademiker. Viele andere sind mit über 40 vielleicht schon im siebten Job, und seit dem dritten in einer anderen Branche. Oder wir haben uns selbständig gemacht, hatten gesundheitliche Gründe für Jobwechsel, oder es gibt unseren Beruf schlicht nicht mehr und wir mussten uns neu qualifizieren oder umschulen oder oder.
Schauen wir Erwerbstätigkeit an. Nach meinem Bauchgefühl findet hier eine kleine aber spürbare Abwertung statt. Ja, da gibt es wohl Geld, aber für was? Räumt da vielleicht eine abgebrochene Jurastudentin Regale ein? Fährt ein Germanist Taxi? Befinden wir uns in der Boheme, ist es kein Problem: dann sind wir alle Künstler*innen und gewisse Gefälle zwischen dem, was wir einst gelernt haben und dem, womit wir unsere Brötchen verdienen, gehören dazu, anders können wir keine Kunst schaffen.
Wie selten aber kommt das vor? Singende Mütter, malende Väter? Schreibende Eltern (außer Austers, die korrekt gar nicht die Austers sind)?
Wie oft ist es so, dass Kinder ein entscheidender Grund sind, Berufstätigkeit und Erwerbsarbeit aufzugeben, zu reduzieren, zu verändern?
Und zwar, weil Kinder ein völlig unkalkulierbares Risiko sind?
Einfach dadurch, dass niemand im Voraus sagen kann, wie viel dieses Kind schlafen wird – und wann.
Weil keiner weiß, wie betreuungsintensiv genau dieser neue Familienzuwachs sein wird.
Weil keine Frau vorausahnen kann, wie anspruchsvoll Gebären und Stillen sein wird. Oder wie das Wochenbett verläuft, welche Veränderungen eintreten werden, speziell beim ersten Kind.
Ich betone das so stark, weil die Fraktion derjenigen, die sagen, es sei alles nur eine Frage von Absprachen und Planung, groß ist und stark wächst. Ich würde sagen: ja, sehr viel ist planbar. Aber nicht alles, und vor allem nicht die Veränderungen, die ein Kind in einer Konstellation bewirkt, wenn es ankommt. Oder wenn es ein Jahr alt ist. Wenn es zu sprechen beginnt. Wenn es trotzig wird. Wenn es erzogen werden sollte (das formuliere ich bewusst so). Wenn es in die Pubertät kommt. Wenn es uns als Erwachsene völlig fordert, weil es wachsen will und wissen und kompetent werden möchte. Und autonom. Und einfach groß.
Ich habe zum Beispiel in der ersten Schwangerschaft völlig unterschätzt, wie sehr Kinder mich als Gegenüber fordern werden. Als Ansprechpartnerin. Als jemand, der ihnen gegenüber Haltung, Meinung, Wissen und Charakter beweisen muss. Konsequenz, Klarheit. Geduld. Wie sehr sie mich zurückwerfen auf mein eigenes Kind-gewesen-sein. Meine eigenen Erfahrungen mit meinen Familien, meinen Lösungsprozessen. Dass sie mir zeigen können, wie wütend ich werden kann. Wie traurig. Wie ausgeliefert.
Ich hätte darüber hinaus nie gedacht, wie sehr mich meine Erinnerung täuscht, wie frei oder unfrei ich gewesen bin in welcher Phase.
Nur ein Beispiel, das für viele vergleichbare stehen soll:
Natürlich habe ich niemals Hausaufgaben gemacht – aber da war ich 14! (na gut, ich war 11).
Ich habe mich immer durch die Schule gemogelt, ich war in der Oberstufe nur zu 25% überhaupt im Unterricht.
Was leite ich also ab aus dieser Erfahrung? Dass Kinder keine Begleitung brauchen in Schuldingen, weil ich ja auch so durchgekommen bin?
Ist das aber wirklich korrekt oder gab es in den ersten Schuljahren nicht doch eine helfende Hand im Hintergrund? Sanktionen von der Schule für „vergessene“ Hausaufgaben? Wenn man dann gräbt – siehe da – finden sich nicht selten nämlich doch solche Leitplanken, aber derjenige, der sich im Ich-Modus nur an seine rebellischen Phasen erinnert, hat sie vergessen.
Ich glaube, zentral für das gesunde Aufwachsen von Kindern sind Erwachsene, die in erster Linie die Kinder sehen. Nicht sich selbst. Nicht ihre eigenen Anekdoten (mehr sind diese Art von „Erfahrungen“ irgendwann nicht mehr).
Und da stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit nochmal ganz neu: Handelt es sich wirklich um Vereinbarkeit von Arbeit und Familie?
Arbeit, die man formal im Erwachsenenalter verrichtet?
Ist es nicht vielmehr die Vereinbarkeit der eigenen Möglichkeiten mit den Anforderungen an die Begleitung von Kindern – und damit an Familie?
Um Vereinbarkeit des eigenen Erwachsenseins, des eigenen Verantwortungsbewusstseins mit dem, was Familie braucht? Was Kinder brauchen?
Warum nur ist es immer noch so, dass uns Frauen dies alles als Automatismus zugesprochen wird, als würde Altruismus in der Plazenta mitgeliefert?
Alle Väter, die mit mir zu diesem Thema in meiner Serie „Hier sind die Väter“ gesprochen haben, sind Männer, die einen ungewöhnlich hohen Grad an Selbstreflektion besitzen*.
Die die Bedürfnisse ihrer Kinder erkennen, die ihre Kinder sehen und ihnen adäquat begegnen können. Unabhängig davon, ob sie mit ihnen zusammenleben oder nicht ((mehr) (immer)).
Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie sich eingelassen haben. Auf Beziehungen, zu den Kindern und ihren Müttern, und darauf, selber noch einmal mitzuwachsen – und das als ein Dürfen zu erleben.
Und nicht als Zwang.
Den viele irgendwann nicht mehr aushalten, so dass sie sich flüchten in noch mehr Arbeit oder in die Höherbewertung der Erwerbstätigkeit gegenüber der Care-Arbeit. Wie schade das ist, und wie viel Reibungsverluste auf diese Weise entstehen. Und wie schade, dass die eigentliche Debatte dann auf einem ganz schlidderigen Parkett geführt wird, wo Feminismus und Arbeitsstrukturen und Rollenbilder und Klischees und sogar die Idee von Schuld (an der eigenen unfreien Lage) bemüht werden müssen, wo es eigentlich nur darum geht, ob einzelne Menschen „Ja“ zur Verantwortung für einen überschaubaren Zeitraum sagen wollen (!) oder nicht. Unabhängig davon, ob sie Männer sind oder Frauen.
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*Leider ist diese Gruppe sehr sehr klein. Es sind Männer, die im Netz sind, bei twitter, die Blogs lesen, die das Thema beschäftigt, die reden, die schreiben, die meinen Text gefunden haben und bereit waren mit mir zu sprechen. Und das zu veröffentlichen.
- Vereinbarkeit? – Ha.Ha.Ha.
- Drüben im resonanzboden