Von Schrauben und Menschen

Heute habe ich es zum ersten Mal in meinem Leben fertiggebracht, mir eine Schraube in den Reifen zu fahren. Wobei ich natürlich nicht weiß, ob es wirklich heute war, heute ist nur der Tag, an dem ich es bemerkt habe. Aber selbst das stimmt nicht, ich habe es nicht bemerkt. Mein sehr müdes Kind hat es bemerkt, als ich es zum Bahnhof gefahren hatte. Dort gibt es ein kleines Rondell, ich ließ das Kind davor aussteigen, durchfuhr das Rondell und sah das Kind zweifelnd auf meinen Wagen starren. Noch eine Rondellrunde später ließ ich das Fenster herunter, fragte nach, und das Kind zeigte mit mattem Finger auf meinen Reifen, “das sieht aus, als wär da ein Platten”, ich sah nach und beruhigte es, “kein Ding”, sagte ich, “Reifen sehen schon mal so aus.”

Auf dem Weg zum Supermarkt habe ich alles sofort wieder vergessen. Es war um sieben Uhr früh. Das ist keine Reifenzeit. Nicht in meinem Kosmos.

Auf dem Supermarktparkplatz dann ein sehr netter, mittelwacher Herr, “des sieht edd guat aus”, sagte er, und deutete auf meinen Reifen, “do fählt Lufft, edd dass ebbes bassiert.” Ich danke und kaufe ein, notiere mir “Reifen Reifen Reifen” in einen Winkel meines Gehirnes, und fahre zur Werkstatt. Wegen fehlender Luft. Und komme mir doof vor. Doch lieber Tankstelle? Nein.

Auf dem Hof der Autowerkstatt ist dann überhaupt keine Luft mehr im Reifen, und der nette sehr wache Herr aus der Werkstatt deutet auf die Schraube, die aus dem Rad ragt und sagt “zehn Minudda, des hemmer glei.”

Die Geschäftsräume werden gerade renoviert, so bekomme ich Kaffee, die BUNTE, aus der ich erfahre, dass gewisse Witwen schwanger sind vom Cousin des Verstorbenen, und atme Lackluft. Zehn Minuten später fährt der Meister mit meinem Wagen vom Hof, ich sehe nur noch die Rücklichter und warte draußen, ohne Lack in der Nase, im Nieselregen auf seine Rückkehr.

Drinnen in der Werkstatt Nacktbilder fotogeshoppter Schönheiten am Spind, Werkzeuge in Reih und Glied, Wagen auf Hebebühnen, alles hat seine Ordnung, und einen Moment bin ich traurig und sehnsuchtsvoll, nicht, weil mein Wagen weg ist, sondern weil diese Dinge (und die Menschen) ihren Platz haben und kennen, und weil sie dahin gehören, wahrscheinlich schon seit immer. Weil sie nicht fragen müssen, weil alles so klar ist. Und dann wünsche ich mir, dass das auch für mich gelten soll, Einfachheit und Klarheit, einen Platz für mich, für meine Arbeit, für meine Themen, wo es Kaffee gibt und Kolleg*innen, dafür würde ich sogar Teppichböden in Kauf nehmen und Automatensuppe, so denke ich eine Weile, weil ich mir vorstelle, dass es eine Erleichterung sein könnte, an einem solchen Morgen wie heute, grau und nieselig und kalt, schon um sieben Uhr morgens zu wissen, was zu tun ist und wie lange und wo. Und dass es wertgeschätzt wird und gesehen, und die Kunden sich freuen, und wenn nicht die Kunden, dann die Kolleg*innen, und wenn die nicht, dann trinkt man eben noch einen Kaffee und streift die Kunst am Spind und denkt: ach Freitag, das wird nix mehr, fangen wir Montag wieder an.

 

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